Text: Astrid Peterle
Sound sichtbar-, Bewegung hörbarmachen
Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, warum wir zu Musik tanzen und nur selten in der Stille? Und was war eigentlich zuerst da, der Tanz oder die Musik? Die Betrachtung des künstlerischen Werks von Chiara Bartl-Salvi lädt dazu ein, die Beziehung zwischen Sound und Bewegung, die uns, nicht nur im Bereich der Choreografie, sondern auch generell im Alltag so selbstverständlich erscheint, zu hinterfragen.
Chiara Bartl-Salvi (*1995) studierte Kunst und Medien unter der Leitung von Constanze Ruhm an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Bereits in ihrer Jugend beschäftigte sie sich sowohl mit Musik als auch Tanz. Durch ihre Studien in Wien kam die Faszination an Räumen, Objekten und im speziellen Bühnenarchitekturen hinzu. Bartl-Salvis Arbeiten überschreiten konventionelle Disziplingrenzen der Kunst. Auch wenn Choreografie als Anordnung von bewegten Körpern im Raum definiert werden kann, so basiert die Künstlerin ihre Arbeit zwar auf diesem Prinzip, erweitert sie aber durch einen Einsatz von Medien wie Sound und Objekten, der ihre Prägung im Umfeld der Bildenden Künste erkennen lässt. Dieses nach wie vor weniger häufig als angenommene Zusammenspiel verschiedener Disziplinen und vor allem das parallele Agieren in den ihnen jeweils eigenen Szenen und Räumen zeichnet Bartl-Salvis Praxis auf besondere Weise aus.
Bereits für ihre Diplomarbeit trat Bartl-Salvi aus dem geschützten Raum der Kunstakademie hinaus in den öffentlichen Raum. What else can we do but play? wurde 2021 im zentral gelegenen Wiener Weghuberpark aufgeführt. Die Diplomarbeit entstand in der Ausnahmezeit der COVID-19-Pandemie, in der viele Künstler*innen ihre Wirkungsräume jenseits des eigenen Ateliers sowie ihr Publikum verloren. Während in der Politik und Zivilgesellschaft auf oft zynische und abwertende Weise über den Wert und die Wichtigkeit von Kunst und Kultur für die Allgemeinheit diskutiert wurde, entschied sich Bartl-Salvi, temporär den öffentlichen Raum zu ihrer Bühne zu machen, anstatt wie viele andere den Weg ins Digitale zu suchen. Am Spielplatz, der als ein Ort der Entwicklung motorischer, kognitiver und sozialer Fähigkeiten gilt, transformierten die drei Performerinnen (Chiara Bartl-Salvi, Rebecca Rosa Liebing, Iris Omari Ansong) mittels einer mobilen Konstruktion ein Karussell zu einer Drehbühne. Das Bewegungsmaterial baute auf einer Analyse des Gemäldes von Pieter Breugel dem Älteren Die Kinderspiele (um 1560) auf. Schwindel, Fliehkraft und Orientierungslosigkeit versetzen die Performerinnen in ein Spiel mit und gegen die gewohnten Bewegungswahrnehmungen des eigenen Körpers. In den Alltag des zufälligen Publikums wiederum brach plötzlich Kunst ein, die, wie so häufig, die vertraute Realität in Frage stellt: Sind Spielplätze und vor allem ihre Geräte nur für Kinder zur Benutzung erlaubt? Wenn Künstlerinnen hier performen, ist es dann noch ein Ort der Freizeit oder einer der Arbeit?
Mittels ortsspezifischer Arbeiten gelingt Bartl-Salvi auch die bereits erwähnte Übersetzung von Choreografie in den Galerienraum. Die Performance 1, 2 Step (Until the loop ends) (2022/23) wurde speziell für den Kunstverein Eisenstadt entwickelt. Ausgestattet mit Steppschuhen bewegen sich die beiden Performerinnen (Chiara Bartl-Salvi, Rebecca Rosa Liebing) durch das Haus. Der Sound ihrer Schritte wird aufgenommen und sofort geloopt, wodurch eine Art akustische Schichtung entsteht, auf welche die Performerinnen wiederum in ihren Bewegungen reagieren. Im Stepptanz hat Chiara Bartl-Salvi ein Medium gefunden, das ihr Interesse an der Verschränkung von Bewegung und Sound paradigmatisch befriedigt und mannigfaltige Experimente ermöglicht, Bewegung hörbar- und Sound sichtbar zu machen. In besagter Performance treten die Künstlerinnen in einen Dialog mit sich selbst und dem Sound, der die Rolle eines Mitperformers einnimmt. Zum konstanten Wechsel der Initialzündung – reagiert der Sound auf die Performerinnen oder diese auf den Sound? – kommt ein weiteres Moment der Verschiebung: Die Bewegungen zitieren TikTok- Choreografien von User*innen, die Popstars imitieren. Wer ist nach der tausendsten Wiederholung und den ebenso vielen individuellen Verschiebungen noch die Autor*in einer Choreografie?
Bartl-Salvis jüngstes Projekt What remains for us but linger? (2023) bringt erneut den physischen Raum der Choreografie in Rotation. Im Mittelpunkt steht eine hochkomplexe, dabei aber leicht zu transportierende Dreh- und Hubbühne, die aus einer sechseckigen Plattform rund um eine Metallstange besteht und die sich sowohl um die eigene Achse als auch auf und ab bewegen kann. Die drei Performerinnen (Chiara Bartl-Salvi, Rebecca Rosa Liebing, Elena Francalanci) steuern die Maschinerie mittels eines Controllers einer Spielkonsole live und versetzen so die Maschine und sich selbst in stetige Veränderung der Bezüglichkeit aufeinander. Noch harrt das Projekt seines baldigen Uraufführungspublikums – es wird nicht das letzte Publikum sein, das von Chiara Bartl-Salvis hörbaren Räumen und rotierenden Sounds in Bann gezogen sein wird.